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Warum  wir immer gewinnen wollen – und wie wir dem Ego seinen Platz zuweisen

Uns Menschen ist es in der Regel sehr wichtig, Recht zu haben. Beobachten Sie Gespräche: Wie groß ist der Anteil, in dem es den Beteiligten darum geht, Recht zu haben? Sie kennen bestimmt den einen oder anderen Besserwisser. Oder vielleicht haben Sie bei sich selbst schon beobachtet, dass Sie Aussagen anderer, die in Ihren Augen falsch oder unvollständig sind, nicht so stehen lassen können?  Solche sachlichen Dissonanzen lassen sich meist argumentativ ausräumen. Nachschlagewerke, Statistiken und das Internet bieten die Möglichkeit Fakten zu finden, die eine Diskussion über das “Richtig” und “Falsch” beenden. Schwieriger wird es bei Gefühls- oder Empfindungs-Themen.

“Ich habe Recht, du hast Unrecht!”

Ein typischer Dialog: „Ich fühle mich von Dir nicht genug beachtet.“  – „Nein, Du bist mir total wichtig!“ Dies ist einerseits ein Beispiel für die Verwechslung von Ebenen. Zum anderen reden die Beiden aneinander vorbei. Dies ist Futter für Stunden heftigster Auseinandersetzungen. Hier müsste erst einmal ein Konsens darüber gefunden werden, um was es denn im Kern eigentlich geht. Dann erst wird es möglich, den anderen zu verstehen und dessen Motiv zu erkennen. Danach ist es dann sinnvoll, das hinter dem Konflikt stehende Bedürfnis zu benennen und Wege zu finden, es zu stillen. Selbstständig oder durch Zutun von anderen.

Der Standpunkt „Ich habe Recht, du hast Unrecht!“ ist der Quell für die kleinen und größeren persönlichen Konflikte, die unter Umständen vor Gericht verhandelt werden müssen. Aber auch für die Konflikte in der Welt zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen oder Nationen, die schließlich zum Krieg führen können.

Das Wissen um die tatsächliche Bedeutung eines Standpunktes und die eigentliche Ursache der Sucht nach dem Recht-haben-wollen helfen sicherlich dabei, Auseinandersetzungen anders zu sehen und mit ihnen umzugehen.

Die Natur des Ich

Ein Mensch wird nicht mit einem Ich, das heißt mit einem Selbstverständnis geboren. Es entwickelt sich erst später durch Prägung und Erfahrung. Zu Beginn wird alles als eine paradiesische Einheit wahrgenommen, die später in ein schmerzhaftes Ich kollabiert. Das Ich schafft Trennung zur Umwelt und zu anderen Menschen. Trennung tut weh. Daher trägt jeder Mensch das mehr oder weniger subtile Wissen mit sich herum, dass ihm etwas fehlt: nämlich die Einheit, die Vollständigkeit.

Das Ich, das Ego, die Person „weiß“ um diesen immanenten ständigen Mangel und dass es seinem eigentlichen Wesen nach virtuell ist. Es ist eine eingebildete Instanz, sozusagen eine Software, die in unser Nervensystem eingebrannt ist. Der Name des Programms ist: „Ich bin.“ Dieses Ich existiert nicht. Es ist eine Funktion des Nervensystems. Daher ist es wichtig, zwischen dem Menschen, als eine Emanation unter vielen in der Welt, und der Person, einem ablaufenden Programm der Selbstbezüglichkeit, zu unterscheiden. Sinn dieses Programm ist es, den Menschen zu erhalten, indem es Bedürfnisse identifiziert und befriedigt, aber auch Handlungsabläufe, der Vereinfachung wegen, automatisiert.

Das eigentliche Problem mit dem Ego ist nicht, dass es da ist, denn es hat ja Funktionen zu erfüllen. Das eigentliche Problem entsteht aus der Identifikation mit ihm. So kommt es, dass das Ego – die Person – sich aufgrund seiner virtuellen Natur ständig seine eigene Existenz und seinen Wert beweisen muss. Daher kommt seine Neigung, Recht haben zu wollen. Weiß es etwas und kann es etwas, dann beweist es sich selbst, dass es einen Wert hat. Seine Existenz und Existenzberechtigung wird bestätigt. Und vor allem: Es ist anderen überlegen, es ist besser als sie und fühlt sich dadurch gestärkt. Aufmerksamkeit ist die Währung, um die die verschiedenen Egos ringen. Damit versuchen sie, ihren Einfluss zu vergrößern und meinen, die Aufgaben für den Menschen, den sie bewohnen, damit besser erfüllen zu können.

Das Spiel des Lebens

Das ist das Spiel des Lebens. Die Standpunkte, die das Ego vertritt sind völlig beliebig. Der eine hat Recht, weil es in der Heiligen Schrift steht, der andere, weil die Wissenschaft es bewiesen hat und der Dritte, weil er es von einem aufgestiegenen Meister gechannelt bekam. Der Vierte ist sich ganz sicher, weil es seiner eigenen Erfahrung entstammt, und so weiter. Es spielt einfach keine Rolle, woher Überzeugungen oder vermeintliches Wissen stammen. Sie sind frei wähl- und auswechselbar.

Tatsächlich kann nichts gewusst werden. Alles Wissen besteht aus Abstraktionen des Verstandes, der wiederum eine Funktion des Egos ist. Abstraktionen sind mentale Auskopplungen, die mit der eigenlichen Sache nichts zu tun haben. Gedanken über etwas sind nicht die Sache selbst, mit der sie sich beschäftigen, sondern sie sind eigenständige unabhängige Erscheinungen. Abstraktionen können hilfreich sein und den Menschen unglaubliche Möglichkeiten eröffnen. In diesem Fall hat das Ego dann seine eigentliche Aufgabe hervorragend erfüllt.

Erkennen, was tatsächlich ist

Doch diese Abstraktionen machen nicht glücklich. Wissen macht nicht glücklich. Recht haben macht nicht glücklich. Die Suche nach Glück und Erfüllung entstammt dem Schmerz des Egos, das sich von der Einheit getrennt fühlt. Recht zu haben ist sein Bemühen, sich selbst zu stärken.

Das einzige, was gewusst werden kann ist das, was unmittelbar wahrgenommen wird. Der Verstand und das Ego sind hierbei außen vor. Sie werden Sekundenbruchteile später das Erleben als ihres deklarieren, es bewerten und vielleicht darauf reagieren – und hier geschieht bereits die Trennung. Unmittelbarkeit wird in Wissen umgewandelt und in Besitz genommen. Später kann dieses Wisen als Argument gegen den anderen verwendet werden.

Das unmittelbare Sein trägt alles in sich. Hier muss nichts gewusst werden. Hier ist die grundlose Daseinsfreude, die die Suche nach Glück überflüssig macht.

Sollten Sie sich davon beeinträchtigt fühlen, Recht haben zu müssen, fragen Sie sich, was Sie davon haben. Lösen Sie dann am besten die zugrunde liegenden persönlichen Muster auf. Erkennen Sie, was das Ego tatsächlich ist und weisen Sie ihm seinen angestammten Platz zu.

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