Resilienz: Wollen Sie Ihr Ego wirklich aufrüsten?

Praktische Überlegungen zum sinnvollen Umgang mit widrigen Situationen

Gegenwärtig verbreitet sich ein Wort in der Selbstverwirklichungs-Szene: Resilienz. Bücher hierzu sind in großen Mengen erschienen. Der Begriff stammt vom lateinischen “resilire” ab und bedeutet “zurückspringen” beziehungsweise “abprallen”. Eingeführt wurde es zur Beschreibung der Eigenschaft von Menschen oder Gruppen, die mit widrigen Umständen gut umgehen können und diese  verhältnismäßig unbeschadet überstehen.

Typische Beispiele für Resilienz

  • Kinder, die in Armut aufwuchsen, jedoch stabile Persönlichkeiten entwickelten und erfolgreich wurden.
  • Menschen, die sehr hohen Anforderungen im Beruf gewachsen sind und nicht unter ihnen leiden.
  • Bewohner einer Stadt, die sich von einer Naturkatastrophe nicht entmutigen ließen und ihre Stadt wieder aufgebaut haben.

Die Verwendung in diesem Zusammenhang ist bestimmt sinnvoll, also in Bezug auf Menschen, die diese Eigenschaft bereits besitzen. Im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung und Selbstverwirklichung finde ich es allerdings fehl am Platze.

Ja, natürlich können Personen ihre Widerstandsfähigkeit erhöhen, Stärke entwickeln und üben etwas an sich abprallen zu lassen. Doch meiner Ansicht nach geht das in die falsche Richtung. Es werden mit Aufwand und Kraft Identitäten gebildet, die naturgemäß neue Grenzen mit sich bringen. Es drängt sich mir eine Analogie in Form von Bildern auf: Mauern, die Staaten bauen, um bestimmte Menschengruppen davon abzuhalten, ihr Land zu betreten oder zu verlassen.

Das Ego aufrüsten?

Genauso versucht der Resilienz-Ansatz, Menschen zu wappnen Widrigkeiten abzuwehren. Aber das ist meiner Meinung nach die falsche Herangehensweise, und zwar aus folgenden Gründen: Wie oben bereits erwähnt, bildet jede Identität neue Grenzen, die Einschränkungen mit sich bringen. Das liegt in der Natur einer jeden Identität, weil angenommene Eigenschaften andere Eigenschaften ausschließen.

Ein Beispiel: der Macher. Er ist stark und packt an, er greift durch. Er ist erst zufrieden, wenn das Ziel erreicht ist. Dann sucht er sich sofort ein neues. An sich ist das nicht verkehrt, doch wenn die Identifikation sehr stark ist, können andere wichtige Dinge auf der Strecke bleiben: Muße, Regeneration, Gesundheit, Selbstreflexion und so weiter. Das Beispiel ist plakativ, aber jeder versteht wohl, was ich meine. Manchen Menschen entsprechen solche Identitäten, anderen jedoch nicht. Wenn sie versuchen, sich eine solche Identität anzueignen, könnten sie leicht scheitern oder unter ihr leiden.

Der zweite Grund: Was motiviert einen Menschen überhaupt, Resilienz entwickeln zu wollen? Versucht er, einem bestimmten Bild zu entsprechen? Kann er sicher sein, dass er das für ihn richtige Ziel verfolgt? Der Wunsch „stark und widerstandsfähig“ (so nennt es die Resilienz-Szene) sein zu müssen scheint sich ja offensichtlich gegen etwas zu richten.

Gegen etwas zu sein baut meiner Erfahrung nach eine stehende Widerstandswelle auf, die lediglich Aufmerksamkeit, Energie und Ressourcen aufzehrt. Wäre es nicht sinnvoller, eine Öffnung durch diese Wand zu finden, statt gegen sie anzurennen? Wenn jemand im Job überfordert ist: Sollte er sich nicht einen anderen suchen? Wenn eine Lebenssituation jemanden “fertigmacht”, sollte er diese nicht besser verlassen? Widerstandsfähigkeit, um die Situation länger zu ertragen ist bestimmt nicht sinnvoll.

Durchlässigkeit ist einfacher

Auf mich wirkt das Konzept der Resilienz jedenfalls sehr mühsam und kompliziert. Dabei ist die Sache eigentlich viel einfacher. Um dem Leben und seinen Herausforderungen gewachsen zu sein, braucht es nur eins: maximale Durchlässigkeit.

Das Sein, das Leben ist so, wie es ist. Es ist unvorhersehbar, unkontrollierbar und stürmisch. Persönlichkeitsstrukturen, das heißt mentale und emotionale Muster bilden Widerstände, die den Fluss des Lebens häufig behindern. Das Empfinden von Trennung, das jeder Persönlichkeit immanent ist, erzeugt erst den Wunsch nach Schutz und Sicherheit. Das Ego mag Durchlässigkeit nicht, denn es möchte lieber die Kontrolle behalten. Ihm gefällt das Resilienz-Prinzip sicherlich, weil es seiner Natur  entspricht.

Muster erkennen

Durchlässigkeit erreichen Sie, indem Sie sich selbst beobachten und Situationen bemerken, in denen Sie sich nicht gut fühlen. Überprüfen Sie, welche mentalen oder emotionalen Muster hinter Ihrem Empfinden stehen und bearbeiten Sie diese. Je weniger persönliche Muster Sie haben, desto größer ist Ihre Durchlässigkeit. Desto geringer ist folglich Ihr Widerstand gegen die unterschiedlichsten Lebenssituationen, und umso leichter können Sie mit ihnen umgehen.

Das Leben fließt und wird leicht. Meine Erfahrung ist, dass das Leben mit steigender Durchlässigkeit immer freier, unkomplizierter und lebendiger wird. Es besteht eine reelle Chance, Frieden zu finden. Natürlich wird es immer noch Rückschläge und Krisen geben. Doch Sie werden wissen, was zu tun ist.

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Ulrich Heister
5 Kommentare
  1. Clia Vogel sagte:

    Sie sind der erste Trainer/Coach/Therapeut bei dem ich lese, dass es schwierig ist, eine stabile Persönlichkeit zu entwickelten und erfolgreich zu werden, wenn man aus einer armen Familie kommt. Und es stimmt natürlich.

    Ich hoffe, das spricht sich auch irgendwann bis zu Ihren Kollegen ´rum. Meiner Erfahrung nach, wird der Faktor Geld im Zusammenhang mit Persönlichkeitsentwicklung von vielen völlig ausgeblendet.

    • Ulrich Heister sagte:

      Ja, natürlich werden Kinder von ihrem familiären Umfeld geprägt. Das Vorbild der Eltern und ihre Ansichten tragen stark zu den Überzeugungssätzen ihrer Nachkommen bei. Im Positiven wie im Negativen. Werden die übernommenen Muster im Erwachsenenalter nicht reflektiert oder geändert, führen die Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit ein ähnliches Leben, wie ihre Eltern. Einschränkende Überzeugungsstrukturen können mit den entsprechenden Techniken allerdings relativ leicht geändert werden. Wille und Bereitschaft vorausgesetzt.

  2. Clia Vogel sagte:

    Wenn ich Sie richtig verstehe, setzen Sie arm mit erfolglos und bildungsfern gleich. So hatte ich das nicht gemeint.

    Es gibt auch Menschen die durch Krankheit, Insolvenz, Fehlspekulationen oder ungünstige Familienverhältnisse in Armut rutschen. (Und bestimmt gibt es auch noch andere Gründe.) Diese Leute können durchaus selber gebildet und reflektiert sein. Gleichzeitig müssen die Kinder auf viele Dinge die die Persönlichkeit prägen, verzichten, weil dafür einfach kein Geld da ist. (Zum Beispiel soziale Teilhabe, Sport, Musikunterricht usw.)

    • Clia Vogel sagte:

      Oder Nachhilfestunden, wenn´s in der Schule vorüber gehend mal nicht so läuft. Auslandssemester, falls überhaupt studiert werden kann. Die Notwendigkeit, das Kind in die Realschule drei Straßen weiter zu schicken, weil für die Fahrt zum Gymnasium am anderen Ende der Stadt kein Geld da ist. Und bestimmt gibt´s noch viel mehr Bildungshindernisse für Arme.

  3. Ulrich Heister sagte:

    Nein, so wollte ich das nicht verstanden wissen. Es ist klar, dass Besitzstand nichts mit Intelligenz zu tun hat. In dem Beispiel oben geht es darum, dass jemand, dessen Leben unter schwierigen Bedingungen begann, sich, mit der entsprechenden Resilienz, trotzdem entfalten kann. Es ist ein Beispiel, um den Begriff der Resilienz verständlich zu machen. In seiner ursprünglichen Verwendung steht Resilienz für Qualitäten, die jemand aus irgendwelchen Gründen mitbringt. Sie wird nicht erworben.

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